MONTAG, 15.04.2019
F.A.Z. – WIRTSCHAFT
„Die Wahl wird in der Moschee entschieden“
Diese Woche stehen Wahlen in Südostasiens größter Volkswirtschaft an. Dabei geht es um den wirtschaftlichen Kurs, aber auch um die zunehmende Islamisierung.
JAKARTA, 14. April.
All die neuen Brücken, Eisenbahnen, Häfen und Flughäfen sowie die erste U-Bahn in Jakarta, die gerade eröffnet wurde – sie können den Aufschwung Indonesiens verkörpern. Oder auch diese gelbe Box, am hinteren Rand einer Frachthalle am Flughafen Jakartas. Gesichert von einer Stahlschiebetür, öffnet sich ein blitzsauberer Raum, in dem blaue Fässer von BASF lagern und ein paar Kartons mit medizinischem Bedarf. Wer aus der grellen Sonne in die dunkle Halle tritt, den fröstelt bald. „Wir kühlen den Raum auf bis zu 2 Grad herunter“, sagt Vincent K.C. Yong. Für DHL Deutsche Post baut er den Frachtverkehr in Südostasiens größter Volkswirtschaft auf. Sein überdimensionierter „Kühlschrank“ ermöglicht es erstmals den Logistikern, eine Kühlkette für die Fabriken und Krankenhäuser rund um Jakarta aufrechtzuerhalten – das kann in der medizinischen Versorgung Leben retten.
Fast so still wie im Großkühlschrank der Postler ist es plötzlich im ganzen Land – als wäre Indonesien, als wären die 17000 Inseln über Nacht heruntergekühlt worden. Nach all den Debatten, den Ausbrüchen, den Angriffen, dem Jubel und dem Streit herrscht nun „masa tenang“, die Zeit der Stille. Das Grundrauschen ist verstummt. Bis zum Mittwoch, wenn 190 Millionen Indonesier zur Wahl gerufen sind, muss die Politik schweigen. Dem früheren General Prabowo Subianto, der sich immer wieder ereiferte, der auf seinen Netzwerken bis tief in die Moscheen spielte, bleibt nur, abzuwarten, ob er es schafft, den amtierenden Präsidenten Joko Widodo aus dem Amt zu treiben.
Die Umfragen sprechen für den Amtsinhaber, den das Volk einfach Jokowi nennt. Der frühere Möbelhändler, bei öffentlichen Reden immer zum Scherzen aufgelegt, hatte sich schon als Bürgermeister des eigentlich unregierbaren Schmelztiegels Jakarta mit 30 Millionen Einwohnern bewährt. Drei Wochen vor der Wahl öffnete dort die erste U-Bahn ihre Schranken – ein klarer Punktsieg für den heutigen Präsidenten, der den Ausbau von Häfen, Straßen, Flugplätzen und Eisenbahnstrecken versprochen hatte.
„Unter der amtierenden Regierung haben wir einen enormen Ausbau der Infrastruktur erlebt. Sechs Häfen wurden erweitert, 7000 Kilometer Schienen verlegt, 15lokale Flughäfen werden gebaut“, sagt Yong. Die Abfertigung von Gütern ist deutlich besser geworden, auch weil der Flughafen die Zollbeamten rasch wechseln lässt – so wird die immer noch grassierende Korruption erschwert. „Auch der Einsatz von Technologie hilft“, sagt Yong.
Kein Wunder, dass die meisten Geschäftsleute hoffen, dass Widodo eine zweite Amtsperiode erkämpfen kann. Er und seine Finanzministerin Mulyani Indrawati, eine Ökonomin, die als ehemalige Direktorin der Weltbank auch in Washington bestens verdrahtet ist, haben indes nicht alle Versprechen erfüllt. Von 7 Prozent Wachstum hatte Widodo geträumt, als er im Oktober 2014 Staatspräsident wurde – 5 Prozent hat er erreicht. Aber er steuert das Land mit Geschick zwischen den Großinvestoren China und Japan. Die Stromversorgung zumindest auf der Hauptinsel Java ist inzwischen weitgehend verlässlich. Eine drohende Zahlungsbilanzkrise durch den raschen Wertverfall der Rupiah hat seine Regierung abgewehrt. Indonesien, Mitglied der zwanzig führenden Wirtschaftsnationen (G20), hat viel regionalen Einfluss.
Doch sind es nicht nur die Erfolge der amtierenden Regierung, die die Menschen für „Jokowi“ stimmen lassen – es ist auch die Sorge vor der Alternative. Junge Menschen in der Hauptstadt sprechen den Namen Prabowos gar nicht aus, sondern reden nur vom „Gegenkandidaten“. Für viele steht er für das alte Indonesien mit seiner Feudalstruktur und Vetternwirtschaft, für die starke Rolle der Armee bis tief in die Wirtschaft und für eine stärkere Islamisierung. Homosexualität will er unter Strafe stellen.
„Gewinnt Prabowo, packen hier am nächsten Tag ganz viele ihre Koffer“, sagt Volker Bromund. „Das ist ganz klar eine Richtungswahl.“ Der ehemalige Deutschbanker berät Investoren und lebt seit Jahren in Jakarta. Das ist kein einfaches Geschäft. Bis heute wirkt der jahrelange Rechtsstreit nach, den der Staat mit dem amerikanischen Rohstoffkonzern Freeport-Mcmoran um die Grasberg-Mine in Papua führte. Er endete mit dem Rückzug der Amerikaner. Um Arbeitsplätze zu schaffen, verdonnerte Widodo Investoren zu einer höheren Wertschöpfung im Land – was oft nicht funktioniert, weil es schon an ausgebildeten Arbeitskräften fehlt.
Rund 2 Millionen neue Stellen jährlich muss die Regierung schaffen, will sie dafür sorgen, dass die Heranwachsenden sich ihre Schale Reis verdienen können. Die „demographische Dividende“, von der manche schwärmen, wird in dem Land, in dem 43 Prozent der 260Millionen Menschen jünger als 24 Jahre sind, zur „demographischen Katastrophe“. Viele junge Leute finden keine Arbeit. Das liegt auch an der Rationalisierung. In der Textilindustrie arbeiten neue Fabriken heute mit 70 Prozent weniger Arbeiterinnen als die traditionelle Fertigung nebenan.
Wie durch ein Brennglas zeigt die Besetzung der potentiellen Stellvertreter des Präsidenten und seines Herausforderers, wo die jeweiligen eigenen Schwächen liegen: Widodo wählte Maaruf Amin, einen alten Kleriker, um die Muslime zu besänftigen. Nur als Reformer dazustehen hilft dem Präsidenten nicht – er muss Rücksicht darauf nehmen, dass der Islam im größten muslimischen Land der Erde an politischer Bedeutung gewinnt. Immer wieder kamen Verdächtigungen auf, Widodo sei in Wahrheit Christ, der sich nur hinter einer muslimischen Fassade verstecke. Solche Gerüchte können schwer schaden – Amin soll diese Flanke decken. Denn mit Nahdlatul Ulama führt er eine muslimische Organisation, die allein für 50 Millionen Mitglieder steht.
„Was aber ist, wenn Widodo mal nicht mehr wäre?“, fragt Unternehmensberater Bromund. „Dann hätten wir trotz seines Wahlsieges einen 75-jährigen muslimischen Geistlichen als Präsidenten des wichtigsten Landes Südostasiens.“ Und er fügt an: „Die Wahlen hier werden in den Moscheen entschieden.“ Im Umkehrschluss ernannte Prabowo den Unternehmer Sandiaga Uno zu seinem Vize. Der Versuch, die Wirtschaft durch die Ernennung des in Amerika ausgebildeten Sandiaga Uno zu gewinnen, gelang indes nicht: Zwar soll er ein Vermögen von rund einer halben Milliarde Dollar besitzen. Doch hängt ihm der Ruf nach, sich in Jakartas alter Elite zu tief vernetzt zu haben. Und er finanziert Prabowo, einen Ex-General, der den Geruch des Kriegsverbrechers nicht loswerden kann.
Alle Kandidaten wissen, was im Argen liegt: Die an der Zahl ihrer Menschen gemessen viertgrößte Nation der Erde schöpft ihr Potential nicht in Ansätzen aus. Die Menschen brauchen Bildung, müssen Geld verdienen, konsumieren und vorsorgen. Die Widodo-Regierung steigerte zuletzt die Ausgaben deutlich, um Stimmen zu fangen – allein die Gelder für Sozialhilfe stiegen um 70 Prozent im Jahresvergleich.
Die Logistiker draußen am Flughafen spüren tagtäglich, was die Ökonomen in den Regierungsbüros berechnen: „Derzeit macht der Import rund 65 Prozent unseres Geschäftes aus“, erzählt Yong. Das Land lebt zu sehr von seinen Rohstoffausfuhren, etwa Kohle oder Palmöl. Widodo hat gerade einen Brandbrief nach Brüssel gesandt, um die Europäische Union vom drohenden, ökologisch begründeten Bann von Palmöl abzuhalten (F.A.Z. vom 12. April). Prabowo, der riesige Ländereien besitzt, kündigte im Wahlkampf aber an, das Geschäft mit Palmöl noch ausweiten zu wollen. Der ökonomische Nationalismus, den er vertritt, würde eine von Brüssel ersehnte Annäherung noch schwerer machen. Das Staatsmotto „Einheit in der Vielfalt“ könnte leiden.
Zwar ist Indonesien im Standort-Ranking der Weltbank, die misst, wie leicht es ist, Geschäfte zu führen, bis auf Platz 73 vorgerückt; bei Widodos Amtsantritt lag es noch auf Platz 120. Keiner der bisherigen Regierungen ist es freilich gelungen, eine funktionierende Fertigung und Exportindustrie aufzubauen. „In der Textilfertigung sind die Maschinen im Durchschnitt 25 Jahre alt“, erzählt Bromund. „In den letzten 20 Jahren hat doch niemand wirklich in Indonesien investiert.“ Die DHL-Leute helfen sich nun selbst. Gemeinsam mit dem chinesischen Internethändler Alibaba schulen sie in entlegenen Landesteilen Mittelständler, damit die sich neue Märkte im Ausland erobern. „Sie kennen weder Auslandsmärkte noch die Schritte, um zu exportieren. Wir machen sie damit vertraut“, sagt Yong. Wie hoch er das Potential Indonesiens einschätzt, zeigt seine Vorhersage: „Schon im nächsten Jahr wollen wir ein ausgeglichenes Verhältnis von Export und Import im Frachtgeschäft erzielen.“